Es ist eine besondere Zeit, die wir hier mit dem Ausbruch des Corona-Virus erleben. Unsere bisherige Normalität wurde durchbrochen und wir spüren am eigenen Leib, was es heißt in einer Demokratie verwaltet und eingesperrt zu sein. Risikogruppen, die wir solidarisch beschützen müssen, dienen als Argument jegliche Maßnahme durchzuwinken, denn niemand will, dass Menschen sterben oder keine Behandlung bekommen, weil das eingesparte Gesundheitssystem zu wenig Behandlungsbetten bereit stellen kann. Ob die durchgesetzten Maßnahmen nun wirklich sinnvoll sind, um das zu verhindern, wird nur am Rande besprochen. Fest steht: wir müssten alle zusammenhalten um gemeinsam durch die Krise zu kommen um unser System aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig steuern wir einem Abgrund entgegen. Und damit meine ich nicht nur eine wirtschaftliche Krise, sondern vor allem die tägliche Isolation, die Überwachung und die Unfreiheit darüber zu entscheiden, was mich, mein Leben, betrifft. Denn welches Leben wird mir denn schon eigentlich gewährt? Ist es ein Überlebenskampf in einer Gefängnisgesellschaft, wo jeder gegen jeden arbeitet und ich mich zum Schluss über die knapp werdenden Supermarktartikel prügeln soll? Oder was heißt es für mich und andere meine Lebenserwartung auf das Maximum zu verlängern? (Damit meine ich nicht, dass wir auf das Leben von Risikogruppen scheißen sollten. Ich
kann diese Personen in meinem Umfeld sehr wohl fragen, wie sie sich mit mir treffen wollen und welche Dinge sie brauchen.)
Mir stellt sich immer wieder die Frage wie ich leben will und nicht, dass ich weggesperrt und isoliert meinen Körper funktionstüchtig – wenn auch abgestumpft und im Ruhemodus – erhalten muss. Weil Leben bedeutet für mich nicht nur für den Arbeitsmarkt nützlich zu sein, meine Knochen und Gelenke zu schänden, bis ich irgendwann eine Rente bekomme und sie irgendwo im Altersheim abzusitzen, bis mich irgendwann ein Virus oder eine andere Krankheit hinwegrafft. Leben bedeutet für mich nicht mich darüber zu sorgen, wie ich die Monatsmiete bezahle und welcher Inkassobrief der dringlichste ist oder stundenlang auf Bildschirme zu starren. Was für jeden von uns genau leben heißt, kann ich nicht beantworten, weil da jeder andere Bedürfnisse und Sehnsüchte hat, die er oder sie verwirklichen möchte. Trotzdem ist für mich klar, dass mein Leben jetzt sehr schnell zur Ordnungswidrigkeit wird, indem ich nachts noch rausgehe und mich nicht einsperren lasse. Oder auch anderweitig verfolgt wird, wenn ich mich selbst dafür entscheide, wie ich mich zu diesem System der Ausbeutung und Unterdrückung verhalte. Das ist für mich aber kein Grund mich an die Maßnahmen rund um das Coronavirus zu halten, sondern eher ein Zeichen dafür, dass die Grenzen und Zäune nun näher an mich herangerückt und offensichtlicher für einen breiten Teil der Bevölkerung geworden sind. Wenn das Medienecho und die Politik nun
nach verantwortungsvollen Bürgern schreit, dann ruft sie im Grunde zum Gehorsam und zur Unterwerfung auf – denn Verantwortung bedeutet für sie zu Hause zu bleiben und sich still an ihre Anweisungen zu halten. Was jedoch wirkliche Verantwortung in unserer Welt bedeutet, ist sich aktiv gegen die täglichen Misshandlungen zu wehren und das Leben auszuprobieren, indem wir nicht nur dafür Sorge tragen möglichst lange zu überleben.